Else Ida Pauline Kienle, geboren im Jahr 1900 in Heidenheim: Das Abitur schließt sie als Jahrgangsbeste ab. Ihr Traum? Ein Medizinstudium! Als erste Chirurgin in Deutschland zu praktizieren! Zu dieser Zeit scheint das illusorisch: Die Chirurgie ist eine reine Männerdomäne.
Nach dem Studium hat sie harte Lehrjahre im Stuttgarter Katharinenhospital auf der geschlossenen „Polizeistation“ für „gefallene Mädchen“.
Die Türen zu einer Karriere bleiben Else verschlossen.
Die Männer liegen der selbstbewußten Frau zu Füßen. Sie liebt schnelle Autos, Glamour, Tennis und Sport. Der um einiges ältere Bankier Stephan verlässt für sie Frau und Kinder und finanziert ihr eine eigene Praxis. Die einzige Möglichkeit für Else, ihrem Ziel näherzukommen.
In ihre Praxis in der Marienstraße in Stuttgart drängen sich immer mehr Frauen.
Sie erlebt das ganze soziale Elend der Weltwirtschaftskrise hautnah. Die Not ist überall. Else setzt auf Aufklärung, sie gründet die erste Beratungsstelle für Sexualberatung in der Neckarstraße. Sie will den Menschen in Not helfen.
Der Arzt, Reformer und Schriftsteller Friedrich Wolf praktiziert ebenfalls in Stuttgart. Er steht stark unter öffentlicher Beobachtung, gerade von rechten Kreisen.
Wolf schickt viele Patientinnen zu Kienle. Die Anzeichen mehren sich, daß die Justiz an Else ein Exempel statuieren will. Doch Else bleibt unbeirrbar, trotz aller Warnungen. Sie glaubt an eine Reform, nach dem gesundheitspolitischen Beispiel der Sowjetunion.
Mit Friedrich Wolf wird sie wegen Schwangerschaftsabbrüchen in mehr als 200 Fällen verhaftet, inhaftiert und täglich vernommen, Fall für Fall.
Während Wolf durch seine Bekanntheit („Cyankali“) freikommt, bleibt ihr nur die Möglichkeit des Hungerstreiks. Erst nach insgesamt 5 Wochen Haft, sie hat ihr Testament bereits gemacht, kommt sie frei.
Else bildet die Speerspitze einer massenhaften emanzipatorischen Bewegung: „Ich habe abgetrieben.“ (Die Vorwegnahme des Stern- Titelbildes in den Siebziger Jahren!)
Else hält eine historische Rede am 15. 4. 1931 im Berliner Sportpalast (!) vor Zehntausenden, zusammen mit Friedrich Wolf.
Mit ihrem Engagement setzt sie ihre ganze bürgerliche Existenz aufs Spiel. Der Prozeß gegen sie läßt noch auf sich warten.
Eine kurze Verschnaufpause ergibt sich für die beiden am Sehnsuchtsort von Wolf: Moskau.
In der Ehe mit Stephan, dem Bankier, kriselt es. Stefan arbeitet über den Kontakt mit einen wichtigen Waffenhändler mit einer aufstrebenden Partei zusammen.
Er ist Jude und bisher war das noch kein Problem.
In Deutschland sieht sich Else zunehmender Anfeindung ausgesetzt. Sie muß bereits vor der Machtergreifung der besagten Partei das Land in Richtung in Richtung Frankreich verlassen.
Else trennt sich von Stephan. (Der übrigens auch noch fliehen kann: „Jakobowski und der Oberst“, verarbeitet von Franz Werfel)
Hitler kommt an die Macht. Else Kienle entkommt in letzter Sekunde. Eine weitere Volte des Schicksals: Amerika nimmt keine Flüchtlinge mehr auf. Einzige Lösung: Heirate einen Amerikaner! Das tut sie insgesamt drei Mal. Der letzte, mit dem sie dann sehr glücklich wird, ist ein Choctaw Indianer…
Das Stück entstand nach ausgiebigen Recherchen und im Austausch mit der Historikerin und Biographin von Else Kienle, Dr Mascha Riepl-Schmidt, Stuttgart.
Wir werden unterstützt von der Gedenkstätte Friedrich Wolf in Lehnitz.
Berlin, 6. Juni 2016
Johann Jakob Wurster